Wieso Spinnennetze bei Frost glitzern1
(ein Märchen von Chris Wunderlich,
gewidmet V.,
die mein Licht im Dunkel werden könnte.)
Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebte eine kleine Spinne. Sie flocht ihre Netze den lieben Tag über und beobachtete dabei die anderen Tiere voller Traurigkeit.
„Ach, mich arme kleine Spinne mag niemand. Alle ekeln sich vor mir, weil ich so dünne, nackte, lange Beine habe, die so gar nicht zu meinem Körper passen.. Die anderen Tiere haben alle etwas besonderes. Die Einen haben wunderschönes Fell, andere bezaubernde Farben. Einige bauen beeindruckende Häuser oder sind gewaltig groß und stark. Doch ich baue immer nur dünne Netze, die so leicht zerbrechlich sind…“, dachte sich die traurige Spinne.
Die Jahre vergingen. Eines Tages, als die kleine Spinne dies wieder einmal dachte, war eine kleine Eisfee in ihrer Nähe. Sie war gerade dabei die Welt mit einer weißen Decke zu überziehen, als sie die Traurigkeit und Sehnsucht der kleinen Spinnen spürte.
Wenn ein sehnsuchtsvolles Wesen auf eine unsichtbare Eisfee trifft, so wird diese sichtbar. Als würde man einen Schleier hinweg nehmen, so tauchte plötzlich die kleine Eisfee vor unserer Spinne auf. Das erstaunen war groß, doch vom ersten Moment mochten sich die Beiden.
„Ich kenne deinen Schmerz, kleine Spinne.“, sagte die Eisfee und erklärte unserer Spinne traurig: „Mir geht es nicht soviel anders, als Dir: Auch ich bin einsam, niemand mag mich, weil ich kalt bin und alle denken, ich würde die Sehnsucht in ihnen wecken. Dabei lasse ich die Menschen nur ihre tiefsten Sehnsüchte spüren, entdecken, die schon immer in ihnen waren. Bin ich in ihrer Nähe, kommen ihre Gefühle aus dem tiefsten inneren ans Licht… Doch nie bringen sie mir die Liebe entgegen, die ich mir so sehnsüchtig wünsche.“
So redeten und redeten sie. Stunden, Tage, Wochen…… Sie verstanden sich irgendwann wortlos. Ein Blick in die Augen des anderen genügte… Zwischen ihnen wuchs mitten im Frost die Liebe.
Doch der Frühling kam näher. Wie in jedem Jahr würde er die Eisfee mit sich nehmen. Heim, in den Hafen der Sehnsucht, wo sie bis zum kommenden Winter bleiben müsse. Die kleine Spinne und die Eisfee litten miteinander, mit jeder Sekunde die dieser Moment näher rückte. Sie liebten sich doch und mussten doch gehen, weil die Natur eben so ist…
Als der Tag des Abschiedes erreicht war, küsste die Eisfee die kleine Spinne und flüsterte ihr leise zu: „Zum Abschied habe ich ein kleines Geschenk für dich. Immer, wenn es in der Nacht sehr kalt werden wird, soll dein Netz vom Eis glitzern und strahlen, dass es aussieht, als hingen kleine Tränen daran. Kein anderes Tier und keine andere Pflanze soll je so etwas schönes haben, wie du, damit du mich nie vergisst und dich auf den nächsten Winter freuen kannst… Denn jedes Wesen braucht etwas Hoffnung zum überleben.“
Seitdem sieht man nach einer kalten Nacht die Spinnennetze glitzern. In ihnen funkeln die Tränen der Liebe und der Sehnsucht. Vergesst dies nicht….1
(Copyright @Chris Wunderlich, 2012)
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