Ein Ungeist geht um in Europa. Der braune, rechthaberische Ungeist des Nationalismus. Deutschland stänkert gegen die Türkei. Die Türkei stänkert zurück. Frankreich kocht sein eigenes Ausnahmesüppchen. Großbritannien ist auf der Flucht. Und Polen und Ungarn versinken bereits in politischen Fäkalien.
Man hat das Gefühl, als ob dieses europäische Konstrukt eine Psychotherarpie bräuchte, in der jedes Land seine verdrängten Emotionen freilegt und lernt sie abzubauen. Nehmen wir Deutschland: Der sog. „Türkei-Deal“, geboren aus der Not mangelnder Partnerschaft, hat tiefgehende Aggressionen geweckt, wie es scheint. Man musste „den Türken“ als Sieger akzeptieren. Sieger in einem politisch-moralischen Wettkampf, den niemand zugeben oder gewinnen kann. Und wie so oft, wenn man besiegt wird, beginnt der Verlierer zu sticheln, sobald sich die Möglichkeit ergibt. Da werden Beitrittsgespräche verzögert, Wahlkampfauftritte untersagt (niedrigschwellig natürlich, damit die Sticheleien nicht zu offensichtlich sind) und verbale Attacken geführt. Jeder, der ein Kind im Kindergarten hat, kennt diese Mechanismen der Eskalation: Nimmst du mir meinen Baustein weg, stell ich dir versehentlich ein Bein.
Was mir fehlt sind die ruhigen Geister, die durch eine möglichst objektive Analyse zu konstruktiven Vorschlägen kommen. Anders gesagt: Mir fehlt ein neuer Kant. Heutige Denker, wie Slavoj Zizek oder Peter Sloterdijk, sind entweder fest in ihren ideologischen Vorstellungen gefangen oder beitreiben nichts anderes, als geistige Masturbation. Diese ist naturgemäß natürlich unfruchtbar und hilft niemandem. Besonders nicht einer politischen Gemeinschaft mit pubertären Problemen.
Ein neuer Kant ist also nötig. Ein rationaler, unaufgeregter Geist, der politische Visionen vernünftig begründet, wie Kant es bereits 1795 in „Zum ewigen Frieden“ tat. (Eine Zusammenfassung erspare ich mir an dieser Stelle. Der eilige Leser findet diese im Wikipedia. Der interessierte Leser mag jedoch zum eigentlichen Text wechseln.)
Doch anders, als zu Kants Zeiten, wo die Religion noch allgegenwärtig war, wird die reine Vernunft nicht genügen. Um für Europa eine „Therapie“ zu erarbeiten, muss zur Vernunft noch der Glaube kommen. Die Sehnsucht nach einer spirituellen Führung muss befriedigt werden, wie die nach der Vernunft. Sonst enden wir bei Trump, Höcke oder Wilders. Denken wir uns eine Mischung aus Kant und Ghazzali. Religiöse Toleranz mit Rationalität und globalem Denken, in einem moralisch-normativen Korsett des Glaubens.