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Existenzspuren

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Erdoĝan. Überall Erdoĝan

VonChris Shafik Wunderlich

Mrz 14, 2017

Erdoĝan. Überall Erdoĝan. Wo man hinschaut, sei es in die Presse, ins TV oder ins Netz: überall Erdoĝan. Man hat das Gefühl, es gibt kein anderes Thema. Man möchte die Zeit vor-stellen, damit die Wahlkämpfe in Deutschland, Holland und der Türkei endlich vorüber sind. Plumpe Polemik und haarsträubender Populismus wechseln sich ab oder gehen Hand in Hand. Auf allen Seiten. Und trotzdem konzentriert sich alles auf Erdoĝan.

Ich mag Erdoĝan. Lange habe ich ihn sehr geschätzt, da er viele Gesetze aufgehoben hat, die ich als Fehlentwicklung der Türkei sehe. Wie z.B. das Kopftuchverbot für Frauen in öffentlichen Diensten, an der Uni und im Militär. Er stärkte den Islam und brachte das Land wirtschaftlich und politisch in die richtigen Bahnen.

Doch spätestens seit Böhmermann wirkt er oft nur lächerlich. Wie ein Rumpelstilzchen verklagte er damals Komiker wie am Fließband. Jedem miesen, geschmacklosen Spruch wurde durch eine Anzeige Gewicht verliehen. Wo andere Politiker drüber stehen und es einfach ignorieren, schimpfte und klagte er, bis die Balken brachen.

Erdoĝan wollte ein Opfer sein. Ebenso, wie er jetzt das ganze Land als Opfer betrachten möchte, um die Abstimmung zur neuen Verfassung zu gewinnen.

Natürlich sitzt der Schock über den Putschversuch tief. Für einen Augenblick waren er (Erdoĝan) und andere Menschen wahre Opfer. Konnten sich des Rückhalts im Volk zu Recht sicher sein. Und bereinigten die Situation souverän.

Wahrscheinlich sitzt auch die Enttäuschung tief, dass der Putsch im Ausland merkwürdig desinteressiert betrachtet wurde. Eine auffällige Zurückhaltung prägte das Bild der Medien hier in Deutschland.

Tief sitzen natürlich auch die Lügen der EU gegenüber der Türkei. Seit Jahrzehnten verschleppt man schon das Beitrittsverfahren, während andere Länder, die eine wesentlich schlechtere wirtschaftliche (und politische) Bilanz zu bieten haben, im Eiltempo ihren EU-Mitgliedsstatus erhalten. Selbst ein Herr Verheugen sagt dies mittlerweile offen.

All das und noch viel mehr kann man anführen, wenn man die derzeitigen türkischen Tiraden verstehen will. Und trotzdem haben sie wenig mit Politik zu tun, sondern eher mit dem Verhalten von Kindergartenkindern. Nur tragen letztere nicht die Verantwortung für Krieg oder Frieden. Erdoĝan dagegen schon. Da wird auf allen Ebenen verantwortungslos Geschirr zerschlagen, ohne auf das Morgen zu schauen. Und ich fürchte, das wird sich irgendwann rächen. Nicht nur in der Türkei.

P.S.: Nein, ich bin kein „Türkeiexperte“ und will auch keiner werden. Mich interessiert das Land und ich mag die Menschen dort sehr. Die geopolitische Position fasziniert mich außerdem ungemein. Aus diesen Gründen beschäftige ich mich häufig mit all den Themen, und schreibe meine Gedanken dazu ab und zu hier in den Blog.

2 Gedanken zu „Erdoĝan. Überall Erdoĝan“
  1. Salam, mein Lieber, alles klar, stimme grundsätzlich zu, nur eine Frage: Warum schreibst du „Selbst ein Herr Verheugen sagt dies mittlerweile offen“? – Das „selbst ein“ finde ich ganz unpassend, weil mir niemand bekannt ist, der mit solcher Klarheit und Schärfe erklärt, daß Europa die Türken belogen und betrogen hat. – Ich nehme an, daß du selbst auch diese Maischberger-Sendung gesehen hast, in der er sehr energisch seine Vorwürfe erhob. Er muß das auch wissen, war er doch als Kommissar amtlich mit den Beitritten befaßt. Zeigt er sich mit seiner Erklärung als guter und gerechter Mann, empfinde ich dein „sogar »ein« Veheugen“ als herabsetzend und ungerecht.

  2. Wa aleykum salam Bruder Salim,

    ich halte Verheugen für einen (im positiven Wortsinn) Berufspolitiker, der sich nur äußert, wenn er etwas zu sagen hat. Einer, der sich nicht zur Hetze oder Polemik hinreissen läßt, sondern mit kühlem Kopf reagiert, wo es nötig ist. Mit „ein Verheugen“ meinte ich, wie gesagt, dass er ansonsten sehr ruhig und still ist. Also in der Öffentlichkeit recht „unscheinbar“, vergleicht man ihn mit so manchem anderen Politiker, die ihre (oft unkonstruktiven) Meinungen überall herausschreien, nur um gehört zu werden. Es war also meinerseits eher voller Respekt gemeint und sollte die Wichtigkeit unterstreichen, wenn selbst ein stiller, kontrollierter und reflektierter Politiker sich so deutlich äußert.

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