Bismillah
As-Salamu aleykum
Da ich gestern Abend meine Gedanken nicht mehr richtig sammeln konnte, nun noch ein Versuch eines Berichtes vom Symposium, auch wenn ich nur am ersten Tag teilnehmen konnte.
Am 20.09.2014, fand in Weimar / Thüringen der erste Tag des Symposiums „Muslimisches Dasein in Deutschland und Europa. Eine Selbstfindung“ statt. Ziel dieser Veranstaltung sollte es ein, einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem neuen (Selbst-)Verständnis bzw. überhaupt erst der Entwicklung einer deutschen, muslimischen Identität zu tun. Hochkarätige Referenten, wie Feridun Zaimoglu (Schriftsteller), Eberhard Straub (Historiker) und IZ – Herausgeber Abu Bakr Rieger, gaben mit ihren jeweiligen Beiträgen den Gästen eine Menge Denkanstöße und Stoff zur regen Diskussion. Unbedingt erwähnen möchte ich auch Eren Güvercin, die Podiumsdiskussion mit interessanten Fragen an die Referenten befruchtete…
Doch beginnen wir von vorn: Nachdem Sulaiman Wilms kurz ins Thema einführte, nahm der Schriftsteller Feridun Zaimoglu am Rednertisch Platz und las eine seiner Kurzgeschichten. Dabei skizzierte der Text die Umrisse einer (wahrscheinlich) typischen Kindheit und Jugend eines türkischstämmigen Jungen in Deutschland. Von der übergewichtigen türkischen Oma bis hin zum strenggläubigen Eiferer, bediente der Text dabei pointiert jedes nur mögliche Klischee, sparte aber auch nicht an Kritik… Wie ich den Text beurteilen möchte, kann ich bis jetzt immer noch nicht sagen… Einerseits amüsiert, andererseits von pathetischen Sätzen überlastet, fällt mir eine Meinung dazu wirklich schwer…
Als nächstes übernahm der Historiker Eberhard Straub das Wort. In seiner freien Rede thematisierte er die Geschichte der Muslime in Europa. Von Portugal und Spanien, bis hin zum Balkan zeigte er auf, wie Muslime in den vergangenen Jahrhunderten Europa prägten und bereicherten. Interessantester Aspekt seiner Rede war mich der Gedanke, dass Gesellschaften immer dann florierten und friedlich blieben, wenn der Staat „Parallelgesellschaften“ erlaubt und sogar förderte, egal ob religiös (zum Beispiel jüdisch oder muslimisch) oder kulturell (beispielsweise Hugenotten). Ein ungewöhnlicher, aber faszinierender Gedanke in einem Europa, was Integration und Homogenität fordert und erreichen möchte.
Letzter Redner dieser einführenden Runde war Abu Bakr Rieger, den ich persönlich ob seiner kompetenten Artikel sehr schätze. Das er auch ein sehr angenehmer Gesprächspartner ist, durfte ich gestern auch erfahren. Aber das nur am Rande… Sein Beitrag blieb mir leider am fragmentiertesten im Gedächtnis, was nicht am Inhalt, sondern nur an mir liegt: Ich war in Gedanken noch bei den Worten des Historikers. Jedoch ist mir noch bewußt, dass Herr Rieger ins Zentrum seines Referats unter anderem den Begriff „Heimat“ rückte. Liebevoll und spirituell näherte er sich dem, was denn einem (konvertierten) Muslim die Heimat bedeuten kann. Fern von allen konservativen Überhöhungen, entwarf er Heimat als die Empfindungen, die man mit einem Ort oder mit einer Region verbindet. „In der Heimat kennt man jeden Berg mit Namen.“, war eines seiner Beispiele zu Verdeutlichung des Gemeinten. Oder der Geruch der Handballhalle, in der man die eindringlichsten Momente der Jugend verbringen durfte… Kurz und einfach gesagt: Heimat ist da, wo man sich zu Hause fühlt.
Über die genauen Inhalte mag sich der geneigte Leser zu gegebener Zeit auf der Homepage der Islamischen Zeitung (http://islamische-zeitung.de/) oder in der nächsten Printausgabe der Zeitung noch genauer informieren. Denn an dem Rest des Symposiums konnte ich aus persönlichen, organisatorischen Problemen nicht teilnehmen…
Denn zum Schluss möchte ich noch kurz über meine Gedanken reflektieren, die mir bei der Veranstaltung kamen. So zum Beispiel, was denn die Unterschiede in der Selbstfindung zwischen gebürtigen Muslimen und Konvertiten sind? Der gebürtige Muslim wächst meist in einer islamischen Umgebung auf, lernt den Islam und verliert ihn oft wieder in der Pubertät… Häufig muss er sich also zwei Identitäten (wenn nicht mehr) erarbeiten und zu Einer vereinen: die religiöse Identität, der er sich (häufig nach der Pubertät) wieder zuwendet, sowie der politischen Identität als Deutscher bzw. Bürger der deutschen Gesellschaft… (Oder flüchtetet sich in eine muslimische Identität als Revolution gegen die ihn umgebende Gesellschaft.) Er kämpft an vielen Fronten und wird oft aufgrund äußerlicher Merkmale auf einzelne Aspekte dieser erkämpften Identität festgenagelt. Anders gesagt: der türkisch-stämmige Mensch MUSS Muslim sein. Und da er so aussieht, muss er natürlich auch Türke/Araber usw. sein…
Der Konvertit dagegen kommt aus einer festen politischen, gesellschaftlichen Identität. Doch lebt er in einer „feindlichen“ Welt, die seinen Idealen entgegen zu stehen scheint. In meinem Fall bin ich bio-deutsch bis in die x-te Generation. Auch wenn mir das wenig bedeutet, bin ich doch einem festen Gesellschaftsgefüge von Geburt an zugehörig. Mein religiöses Selbstverständnis muss(te) ich mir jedoch erarbeiten und bin noch immer dabei, beides irgendwie miteinander zu verknüpfen… Beispielsweise habe ich eine christliche Ex-Freundin, die heute meine Wochenendassistentin und beste Freundin ist, und deren Tochter von mir emotional und sozial adoptiert wurde. (Rechtlich geht die Adoption leider nicht.) Für unsere Kleine bin ich der einzige Papa, den sie kennt und liebt…
Religiös ist das wiederum schwierig zu verteidigen, auch wenn ich hoffe, dass Allah ta’ala mir diese (wahrscheinlich) Sünde vergibt, denn immerhin sorge ich für unsere Kleine so weit und so viel ich kann. Vor Gott hoffe ich also meine Lebensweise verteidigen zu können, aber vor den Menschen? Jede Gruppe von Menschen, egal welcher Religion, ist schnell im verurteilen…
Nur, wie verknüpft man die Herzen, der in der eigenen Brust schlagen? Wie findet man eine muslimische Identität in Deutschland, wenn beide Aspekte derart kollidieren? Wie bringt man die je spezifischen Probleme der gebürtigen Muslime bzw. der Konvertiten unter einen Hut?
Ein letzter Gedanke: Ist der Begriff „deutscher Muslim“ nicht eigentlich absurd? Kann man überhaupt eine Nationalität haben als Muslim? Sollte man nicht eher auf diesen Begriff verzichten und „nur“ ein Muslim in Deutschland bleiben?
Ach, ich habe noch eine Menge nachzudenken…
„Da steh ich nun, ich armer Thor,
und bin so klug, als wie zuvor.“
Goethe