Mit Stolz kann ich heute meine Hausarbeit hier posten, da sie bereits bewertet und von der Studienverwaltung die Veröffentlichung erlaubt wurde.
Bewertet wurde die Arbeit mit 1.3 !!!
Aber lest selbst:
Über die Unwürdigkeit des Mitleids
Kants Kritik an Schopenhauer Mitleidsethik
Philosophie ist ein Dialog. Sie kennt keine räumlichen oder zeitlichen Grenzen. Gerade dadurch entwickelt sie sich und kann zu neuen Erkenntnissen kommen oder die alten präzisieren. So diskutieren noch heute die antiken Philosophen mit der modernen Philosophie und geben noch immer neue Anstöße.
Bei Kant und Schopenhauer ist dies ebenso. So müssen die Texte Schopenhauers die Kritik der Kantianer über sich ergehen lassen, wie umgekehrt auch. An sich ist das meist ein stiller Prozess, doch gewinnen gewisse Themen an Aktualität, so finden diese Auseinandersetzung auch in der Öffentlichkeit ihren Widerhall.
Die Moraltheorien Kants und Schopenhauers sind solche Themen, welche derzeit, z.B. durch die Debatte um Gentechnik, schnell an Aktualität gewinnen können. Denn gerade diese vollkommen konträren Ansätze zu Begründung einer Moraltheorie bieten, meiner Meinung nach, viele Lösungsmöglichkeiten für die genannten aktuellen Gesellschaftsfragen. Durch die gegenseitige Kritik offenbaren wir nicht nur die Stärken und Schwächen der jeweiligen Ansätze Kants und Schopenhauers, sondern es offenbaren sich sogar (als sehr positive Nebenwirkung) die Ebenen aktueller Probleme.
Und genau da will diese kleine Arbeit ansetzen: Was würde Immanuel Kant auf Schopenhauers Mitleidsethik antworten?
Ich möchte in einer kurzen Reflexion zeigen, dass er diesen Ansatz sehr wahrscheinlich ablehnen würde, weil Gefühle nicht als Basis für eine gesamte Moraltheorie dienen können, da sie rein subjektiv sind und der Vernunft entgegen laufen.
Die Ethikbegründung bei Immanuel Kant
Der kantische Ansatz ist ein komplizierter, in dem es bereits schwer ist, einen Einstieg zu finden. Jeder Begriff, jede These Kants stützt die vorherigen und die folgenden gleichzeitig, wie in einem Knäuel aus Gedanken. Ent-knoten wir es Stück für Stück, so dass sich später vielleicht die Antwort auf unsere Ausgangsfrage wie von allein ergibt.
Nach Immanuel Kant muss eine echte Moraltheorie für alle vernünftigen Wesen gleichermaßen gelten können, da sie sonst rein zufällig sein kann und wenig Wert besitzt. Sie muss ihren Urgrund in der Vernunft haben, wo sie aus reinen Begriffen a priori entwickelt wird, denn allein das macht ihren Wert, ihre Beständigkeit und ihre Überzeugungskraft aus. Auf dieser Basis leiten wir mit Hilfe der Vernunft die Gesetze der Moral ab, nach denen sich das vernünftige Wesen richten kann, um zu entscheiden, was moralisch gut und richtig ist. Diese Möglichkeit, nach diesen Gesetzen zu handeln, nennt Kant: Willen.
„Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d.i. nach Prinzipien, zu handeln, oder einen Willen.“
Bei einem absoluten Vernunftwesen, wie Gott es ist, wäre damit auch schon sicher, dass dieses Wesen IMMER „… nach der Vorstellung der Gesetze…“ handeln würde, also sein Wille immer gut wäre. Es gäbe keine Ausnahme, keine anderen Einflüsse auf seine Handlungen.
Doch leider ist der Mensch kein solches Wesen. Kant erläutert: die Vernunft lehrt die Menschen zwar, was richtig und falsch ist, doch handeln die Menschen nicht immer so, da der Wille auch noch durch andere Dinge beeinflusst wird, wie das natürliche Streben nach Glückseligkeit. So verliert selbst die an sich gute Handlung ihren Wert, da ihre Absichten nicht rein aus der Vernunft abgeleitet sind, sondern auf menschliche Ziele, wie das erreichen der Glückseligkeit5, ausgerichtet.
Da Menschen eben keine Wesen sind, die allein nach der Vernunft handeln, brauchen wir Gebote, nach denen wir uns richten können. Gebote der Vernunft sind nach Kant: „Die Vorstellung eines objektiven Prinzips, […] und die Formel des Gebots heißt Imperativ.“
Nun sind wir bei der Vorstellung seiner Imperative angekommen. Wenden wir uns gleich dem kategorischen Imperativ zu, und lassen den hypothetischen Imperativ außer acht, da dies den Rahmen dieser kleinen Arbeit sprengen würde.
Kant sagt:
„Endlich gibt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist kategorisch. Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr erfolgen soll, sondern die Form und das Prinzip, woraus sie selbst folgt, und das Wesentlich-Gute derselben besteht in der Gesinnung, der Erfolg mag sein, welcher er wolle. Dieser Imperativ mag der der Sittlichkeit heißen.“
Es spielt nach Kant, wie wir hier sehen, absolut keine Rolle, ob real aus dem kategorischen Imperativ eine erfolgreich gute Handlung entspringt. Allein die Absicht, nach dem kategorischen Imperativ zu handeln, macht den Wert derselbigen aus. Aus diesem Grund ist es, nach Kant, auch vollkommen egal, ob es je eine reine, moralisch gute Handlung gab. Auch wenn es die nie gab, auch wenn immer andere Gründe die Handlung motivierten, so verliert weder der kategorische Imperativ, noch der gute Wille, noch die Vernunft ihren Wert.
Schopenhauers Ethik
Für Arthur Schopenhauer ist das kantische System nur eine Ansammlung von „…künstliche Subtilitäten, […] …schwierige Kombinationen heuristischer Regeln, Sätze, die auf einer Nadelspitze balancieren und stelzbeinige Maximen, von deren Höhe herab man das wirkliche Leben und sein Gewühl nicht mehr sehen kann.“
Der Philosoph habe sich, nach Schopenhauer, „…mit der Erklärung und Deutung des Gegebenen, also des wirklich Seienden oder Geschehenden…“ zufrieden zu geben. Allein eine Moraltheorie, die auf empirischen Erkenntnissen aufbaut, könne eine echte Wirkung auf das Subjekt haben. Denn wie solle man eine Moraltheorie akzeptieren, der es egal ist, ob ihre Maximen je realisiert worden, ja überhaupt je empirische Realität haben werden?
Nein, der Philosoph, wenn er ernst genommen werde will, muss sich auf die Deskription der vorgefundenen Realität beschränken. Mit Hilfe dieser Methode entdeckt Schopenhauer, dass der menschliche Wille durch den Charakter und die (von innen, wie auch von außen auf ihn treffenden) Motive gelenkt wird. Jede Tat ist ein Zusammenspiel von Motiv und Charakter.9 Auf Basis dieser Gedanken legt er alsdann die drei Hauptmotive menschlicher Handlungen frei.:
„a) Egoismus; der das eigene Wohl will (ist gränzenlos).
b) Bosheit; die das fremde Wehe will (geht bis zur äußersten Grausamkeit).
c) Mitleid; welches das fremde Wohl will (geht bis zum Edelmuth und zur Großmuth).“
Nun sind wir im nach-denken bei dem Begriff des „Mitleids“ angekommen, dem Schlüsselwort der gesamten Schopenhauerschen Ethik, doch dazu gleich mehr…
Reflektieren wir erst noch kurz, was, nach Schopenhauer, den moralischem Wert einer Handlung eigentlich ausmacht. Handlungen entbehren jeglichem moralischen Wert, wenn ihre Grundintentionen bzw. Grundmotivation auf die Befriedigung der Bedürfnisse des Handelnden, also seinem Egoismus, abzielen. Erst wenn die Handlung frei von jeglichen egoistischen Motiven ist, kann man von einer moralisch wertvollen Handlung sprechen.
Diese findet man jedoch nur in der dritten Grundmotivation des Menschen: dem Mitleid. Weder der Egoismus, noch die Bosheit, sind in der Lage Handlungen zu motivieren, welche man mit ruhigem Gewissen als moralisch wertvoll bezeichnen kann, da beide nur zu Befriedigung des Handelnden dienen. Jedoch das Mitleid ist der Weg, durch den ich mich, mit Hilfe der Vorstellung des anderen, leidenden Menschen, mit dem Gegenüber identifizieren kann. Ich erfahre die Motivation durch dessen Leid unmittelbar.
Reflexionen über Kants mögliche Antwort auf Schopenhauers Mitleidsethik
Das bisher gesagte versetzt uns nun, so hoffe ich, in die Lage, die Ausgangsfrage zufriedenstellend und ohne Spekulation zu beantworten.
Beide Begründungsansätze zu einer Moraltheorie haben vollkommen entgegengesetzte Ausgangspunkte. Kant geht von einer rein rationalen, allein der praktischen Vernunft verpflichteten Moraltheorie aus, die, wie oben gesagt, gerade durch ihre Begründung a priori ihren Wert erhält. Kant stellt dazu fest, „…daß in dieser Reinigkeit ihres Ursprungs eben ihre Würde liege, um uns zu obersten praktischen Prinzipien zu dienen; daß man jedesmal so viel, als man Empirisches hinzu tut, so viel auch ihrem echten Einflusse und dem uneingeschränkten Werte der Handlungen entziehe…“
Gefühle, wie Mitleid, sind zufällige, menschliche Eigenschaften, deren Untersuchung der Anthropologie und der Psychologie gebühren, jedoch nicht zur Begründung einer Moraltheorie dienen können.
Ein weiteres Argument Kants finden wir in der „Kritik der praktischen Vernunft“:
„Es kann aber unmöglich Pflicht sein, die Übel in der Welt zu vermehren, mithin auch nicht, aus Mitleid wohl zu tun; wie dann dieses auch eine beleidigende Art des Wohltuns sein würde, indem es ein Wohlwollen ausdrückt, was sich auf den Unwürdigen bezieht und Barmherzigkeit genannt wird, unter Menschen, welche mit ihrer Würdigkeit, glücklich zu sein, eben nicht prahlen dürfen, und respektiv gegen einander gar nicht vorkommen sollte.“
Kant erkennt, wenn ich es richtig interpretiere, an dieser stelle vollkommen treffend, dass Mitleid leicht zu einer Beleidigung des Gegenüber werden kann. Wie unwürdig und minderwertig muss mein Dasein scheinen, wenn der Andere mich mitleidsvoll anschaut oder selbiges kundtut. Wie schnell vergessen wir, dass der in irgendeiner Form leidende Mensch nicht auch noch die anderen Menschen in seiner Umgebung durch sein Leiden belasten und an deren Seelenschmerz schuld sein will. Man stelle sich dann auch noch vor, dass mein Leid in anderen Leid verursache und das auch noch zu einer schmerzverzerrten Moraltheorie führen solle…
Und wie schnell sind wir des Leides der Anderen überdrüssig und empfinden Abscheu:
„Selbst dies Gefühl des Mitleids und der weichherzigen Teilnehmung, wenn es vor der Überlegung, was Pflicht sei, vorhergeht und Bestimmungsgrund wird, ist wohldenkenden Personen selbst lästig, bringt ihre überlegte Maximen in Verwirrung, und bewirkt den Wunsch, ihrer entledigt und allein der gesetzgebenden Vernunft unterworfen zu sein.“
Zusammenfassung
Aus dem gesagten kann man recht eindeutig sehen, wie Kants Ablehnung der Schopenhauerschen Moraltheorie aussehen könnte. Leider fehlte mir die Zeit und der Raum, um jedes Argument Schopenhauers (inklusive seiner Argumente gegen Kant) zu analysieren und so vielleicht eine noch konkretere Antwort aus Kants Sicht geben zu können.
Literaturliste:
Arthur Schopenhauer, Über die Freiheit des menschlichen Willens / Über die Grundlagen der Moral, Zürich, 1977
Immanuel Kant, Grundlegungen zur Metapysik der Sitten / Kritik der praktischen Vernunft, Frankfurt am Main, 1968
Weitere Literatur:
K. Ameriks/D. Sturma, Kants Ethik, Paderborn, 2004
Verwendete Abkürzungen:
GMS = „Grundlegungen zur Metaphysik der Sitten“ in: Immanuel Kant, Grundlegungen zur Metapysik der Sitten/Kritik der praktischen Vernunft, Frankfurt am Main, 1968
KPV = „Kritik der praktischen Vernunft“ in: Immanuel Kant, Grundlegungen zur Metapysik der Sitten/Kritik der praktischen Vernunft, Frankfurt am Main, 1968
GM = „Über die Grundlagen der Moral“ in: Arthur Schopenhauer, Über die Freiheit des menschlichen Willens / Über die Grundlagen der Moral, Zürich, 1977