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Existenzspuren

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Die Liebe der Sufis – Über eine Khutba in der Erfurter Moschee

VonChris Shafik Wunderlich

Nov 10, 2013

Imam Ghazzali (450 – 505 AH.)

“Ich wusste wahrlich, dass die Sufis die Strebenden auf Allah’s Weg sind, und ihr Benehmen ist das beste Benehmen, und ihr Weg ist der beste Weg, und ihre Manieren sind die geheiligsten. Sie haben ihr Herz von allem anderen als Allah gereinigt und haben sie zu Strömen fürr Flüsse, welche fliessen um Wissen über das göttliche Wesen zu erhalten, gemacht.”

[al-Munqidh: Seite 131]

Quelle des Zitats: http://siratalmustaqim.wordpress.com/2011/03/04/gelehrte-uber-tasawwuf/

Bismillah

Die Khutba, welche gestern, am Freitag, dem 08.11.2013, in der Erfurter Moschee gehalten wurde, geht mir nicht aus dem Kopf. Der Redner, die Nummer Zwei der Moschee, nicht der Imam selbst, sprach darin unter anderem über den richtigen Glauben und wer davon abgekommen sei. Er unterschied drei Kategorien von Menschen, die vom „wahren“ Weg abgekommen seien:

1. Diejenigen, die vor lauter Hochmut glauben würden, Allah ta’alas Barmherzigkeit würde sie vor jeglicher Strafe schützen. Also eine überzogenen Hoffnung.

2. Diejenigen, die vor lauter Gottesfurcht (taqwa) ihr Leben nur in Angst vor Allah ta’alas Strafe verbringen. Die also glauben, weil sie sonst Strafen befürchten…

3. Die Sufis, die Allah teallah nur aus reiner Liebe anbeten würden, ohne Gottesfurcht und ohne Hoffnung, und sich nicht für Hölle oder Paradies interessieren…

Soweit die Khutba. Dieser dritte Punkt ist es, der mich ungemein aufregt und zu dem zu Schweigen es mir während der Khutba unglaublich schwer fiel. Denn dieser dritte Punkt ist eine Behauptung, die jeglicher Kenntnis des Sufismus (tasawwuf) entbehrt.

Beginnen wir mit der Feststellung, dass es sehr viele verschiedene Richtungen und Ausprägungen des Sufismus gibt. Die Leute der Ahlu Tasawwuf, also die Sufis, sind in ihren Gedanken, Erfahrungen und Zuständen so vielfältig, wie ihre Anzahl. Gemein ist allen jedoch die innere Abwendung von dieser Welt, die sie oft auch äußerlich zeigen. Gemeinsam ist ihnen die Liebe zu Allah ta’ala, der uns geschaffen hat und tagtäglich versorgt und erhält. So widmen sie ihr Leben, ja ihr Dasein, allein dem Gottesgedenken (dhikrullah), was ihnen die Bezeichnung „Mystiker“ einbrachte. Im Gottesgedenken erfahren sie, wenn es Allah ta’ala ihnen gewährt, neue Stufen der Erkenntnis Gottes. Sie erlangen meditative Zustände, in denen ihr Bewusstsein von Gottes Licht erleuchtet wird und die wir, die wir dies wohl nie erleben werden, kaum verstehen.

Diese Nähe und Freundschaft zu Allah ta’ala entbindet sie aber nicht von Gottesfurcht und Hoffnung. Im Gegenteil empfinden gerade die Sufis die tiefste Gottesfurcht, denn Allah ta’alas Strafe würde sie von ihrem (metaphorisch gesprochen) Geliebten entfernen. Jede Sünde ist ein Schritt weg von Gott und es gibt wohl keinen Sufi, der sich als sündenfrei und sicher vor jeglicher Strafe bezeichnen würde. Wohl eher empfinden viele selbst die kleinsten Verfehlungen als schrecklichste Sünde. Die Gottesfurcht ist also in den Sufis so fest verankert, wie die Liebe zu Gott.

Doch auch die Hoffnung auf Allah ta’alas Barmherzigkeit, Gnade und Gerechtigkeit ist ein fester Teil des Tasawuff, denn welche Reue (tawba) würde Sinn machen, wenn man nicht auf Vergebung hoffen würde? Würde nicht die Hoffnungslosigkeit Gottes Wort, dem Quran, widersprechen, worin Er (swt) immer wieder verspricht, sich dem reuigen Sünder vergebend zuzuwenden? Die Grenze dieser Hoffnung ist die Gottesfurcht und das Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit. Wie kann ich mir der Liebe des Geliebten sicher sein, wenn ich gegen seine Befehle verstoße?

Man sieht also, dass Liebe, Gottesfurcht und Hoffnung feste Bestandteile des Sufismus (tasawuff) sind.

Wie kommt nun jemand zu der Behauptung, die Sufis seien fehlgegangen, weil sie ohne Gottesfurcht und Hoffnung nur reine Liebe für Allah ta’ala hätten? Die Antwort liegt wohl darin, dass der Redner nur einen sehr oberflächlichen Blick in die Werke der großen Sufis geworfen hat. Denn oberflächlich betrachtet findet man sehr merkwürdige Handlungen und Aussprüche der Sufis,  die extrem leicht fehl gedeutet und missverstanden werden können. Dies liegt daran, wie bereits erwähnt, dass ihre Taten und Aussprüche spirituellen Zuständen entspringen, die man selbst erleben muss, um sie verstehen zu können. Nur so und durch tiefes eintauchen in ihre Werke, kann man ein Fehlurteil aus Oberflächlichkeit und Unkenntnis vermeiden.

So gebietet es sich, meiner Meinung nach, für einen Muslim zu den Dingen zu schweigen, die man nicht versteht. Besonders, wenn man ansonsten die eigenen Geschwister zu Unrecht öffentlich verurteilen würde.

Alles Wissen liegt allein bei Allah ta’ala.

5 Gedanken zu „Die Liebe der Sufis – Über eine Khutba in der Erfurter Moschee“
  1. Salam alaikum,

    es gibt wohl kaum etwas auf dieser Welt, das mehr missverstanden wird als der Sufismus. Manche Seele glaubt man könne ihn lesend verstehen, dieser Versuch ist aber von vornherein zum Scheitern verurteilt.

    Ich erinnere mich an ein paar Zeilen von Pir Vilayat Khan, in denen er vom Aufgang der Seele am Horizont schrieb. Ich verstand es erst, als ich einen solchen Augenblick erlebte.

    Wer die Wellen für den Ozean hält, der lernt nie das Schwimmen.

    Za’ida

  2. Assalamu ‚alaikum,

    Ǧalāl ad-Dīn Muḥammad Rūmī soll gesagt haben: „Gott ist allmächtig und voll Mitleid, doch wenn du Gerste anbaust, hoffe bei der Ernte nicht auf Weizen.“ Mir ist es bewusst, dass ich das dir nicht erzählen brauche. Aber wo kommt diese komische Definition von Liebe in Verbindung mit dem Tasawwuf her?

  3. Wa aleykum salam.

    Vielen Dank für deinen Kommentar.
    Meintest du die Definition der Salafisten oder habe ich etwas falsch beschrieben, akhi?

    Alle Fehler kommen allein von mir, deshalb korrigiere mich bitte, wenn ich etwas zu unklar oder fehlerhaft schreibe.

    Möge Allah ta’ala dich belohnen.

  4. Ich habe mich leider nicht so klar ausgedrückt. Ich meinte, dass allgemein dieses Bild in den Köpfen der Menschen vorhanden ist, besonders aber bei den Salafisten. Aber warum ist das so?

  5. ich bin sehr erfreut uber die ubersetzungen der bucher uber tasawuf.denn dadurch erfahre ich auch das verstehen in der deutschen sprache.und bin auch sehr erfreut daruber das sie auch yarbay efendi kennengelernt haben.denn ich bin auch einer in der nahe und einer der ihn liebenden.ins mit der hoffnung im paradies zusammen zu sein.bitte um dua..mit dua.s.a.

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