Selten hat ein Buch so viel fruchtbare Ideen zur Folge und ist gleichzeitig so unerträglich fesselnd, wie Th. Manns „Dr. Faustus“. Fesselnd leider im doppelten Sinne von endlos lang und teils zäh, wie Leder, doch auch kaum zur Seite zu legen, weil man es weiter genießen will, gar muss…
Das Erste, was mich an diesem Buch immer wieder faszinierte, ist die Sprache. Eine Sprache, wie die Thomas Manns, findet man heute kaum noch. Sie ist poetisch dicht und doch meist verständlich. Sie trifft den Charakter der handelnden Personen immer perfekt. Und wo das Gelingen gefährdet wäre, übernimmt der Ich-Erzähler einfach und hebt alles wieder auf das poetische Niveau.
Das hauptsächlich Fruchtbare an dem Roman sind für mich aber die Erläuterungen zur Klassik und zur „Neuen Musik“, also zu modernen klassischen Musik. Mit einem Quentchen Musikkenntnissen erkennt man schnell, dass die Werke des Romanhelden, Adrian Leverkühn, eigentlich die wirklich existierenden Werke Arnold Schönbergs sind. (Auf das Verhältnis Thomas Manns zu Schönberg gehe ich jetzt nicht ein. Das kann jeder an anderer Stelle nachlesen. Z.B. bei Christa Wolf.)
Macht man sich die Mühe parallel zur Lektüre auch Schönberg zu lauschen, bekommt das Buch eine neue Dimension: Ich entdeckte eine neue Welt für mich. Eine musikalische Welt, die zwar den Ohren sehr ungewohnt entgegen schallt, doch mit jedem Ton immer schöner wird. Zuerst fielen mir die sogenannten Gurrelieder in die Hand, welche, im Vergleich zu anderen Schönberg Werken, sehr harmonisch klingen. Auch sie sind im ersten Moment fremd, erschließen sich aber sehr schnell und verleiden an vielen Stellen zu träumen und genießen. Aber ich schweife ab….
Nicht nur Schönberg wird von Thomas Mann eruiert, analysiert, sondern auch Beethoven, speziell dessen Sonate 111.1 (und 111.2). Ich fand von der Analyse des Werkes zum Werk selbst und war begeistert von der Präzision und Fassbarkeit der Mann’schen Beschreibung. Die von ihm farbenprächtig gepriesenen und ausgiebig analysierten Stellen waren nicht nur leicht zu lokalisieren, sondern auch einfach nur wunderschön. Man bedenke beim hören auch, dass Beethoven diese Sonate komponierte, als er bereits ertaubt war….
Parallel zur Musiktheorie eröffnet der Autor dem Leser auch eine neue, andere Sicht auf die politischen Vorgänge in Deutschland, während beider Weltkriege und der dazwischenliegenden Zeit. Denn Adrian Leverkühn, der Romanheld, sowie sein Freund Zeitblom, leben in dieser Zeit, sind diese Zeit. Sie zeichnen den Weg zum Nationalismus nach, ja legen die Entwicklung des Wortes „Deutschtum“ vom intellektuellen, weltoffenen Stolz zum dumpfen Massennationalismus offen.
Ich schließe diesen kurzen Beitrag mit der Bitte, dass jeder, der sich für Politik und/oder klassische Musik interessiert, dieses großartige Buch lesen möge. Denn ich kratze mit diesen paar Gedanken gerade mal an der Oberfläche dieses tiefen Werkes und wollte aufzeigen, wie leicht man von der Lektüre zu einem begeisterten Anhänger moderner Klassik werden kann.
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Quelle: Thomas Mann, „Doktor Faustus: Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde“, Fischer E-Books, 2009