• Sa. Apr 20th, 2024

Existenzspuren

Jedes Leben und jeder Gedanke hinterlassen ExistenzSpuren...

Nach fast 719 Jahren die Reihe der öffentlich sterbenden Päpste zu unterbrechen, ist wirklich eine Überraschung für die Christenheit. So geschah es gestern, dem 11.02.2013, als Papst Benedikt XVI vom Amt des obersten Hirten zurücktrat. Er begründete seine Entscheidung damit, dass seine Gesundheit es nicht mehr zulassen würde, dieses Amt so zu führen, wie die Welt es bedarf. (Die komplette Erklärung gibt es hier: http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2013/february/documents/hf_ben-xvi_spe_20130211_declaratio_ge.html

Auch wenn ich Muslim (Allah sei Dank) bin und keinen Zugang zur christlichen Lehre finde, so interessiere ich mich natürlich trotzdem für die (katholische) Kirche. Wir glauben an denselben Gott und haben unsere Wurzeln im selben Boden geschlagen. Nicht grundlos sind Jesus und Moses auch für uns sehr wichtige Menschen, auch für uns Überbringer und Erneuerer von Gottes Wort. Aber ich schweife ab…

So verfolge ich die Vorgänge in und um die katholische Kirche seit ich bewusst denken kann. Ich gestehe auch meine Begeisterung, als Kardinal Ratzinger 2005 Papst Benedikt XVI wurde. Aber nicht, weil er aus Deutschland stammt, auch nicht, weil er Nachfolger des öffentlich gealterten und gestorbenen Johannes Paul (den ich nicht mochte) war, sondern weil Professor Ratzinger ein großartiger und in den christlichen Wurzeln tief verankerter Denker für mich ist. Anders ausgedrückt: Weil er konservativ die Kirche zum Glauben zurückführen wollte. Ich jubelte nicht und feierte auch nicht, doch ich hörte ihm fasziniert zu und genoss, dass da ein Papst nicht von Politik sprach, sondern vom Glauben, von spirituellen Dingen und dem Kern der Religion. Es war erfrischend seine Entwicklung im Amt betrachten zu können, wie der intellektuelle Lehrer zum Politiker werden musste und sich dagegen bei jedem Auftritt aufs Neue zu sträuben schien. Er war und ist das für mich, was ich als wahren Christen bezeichnen würde.

Sein Rücktritt kam aus der Perspektive eines Staatenlenkers nicht überraschend: Kindesmissbrauch innerhalb der katholischen Kirche, Vatileaks, sinkende Mitgliederzahlen und tausend Probleme, die man außerhalb des Vatikans wahrscheinlich nicht kennt, machen diesen Schritt unvermeidlich. Vielleicht war es, rein spekulativ, auch eine gewisse Resignation, dass er „die Welt“ nicht ändern kann, ja nicht einmal die Strukturen innerhalb der Kirche vollständig im Griff zu haben schien. Das Schicksal einer jede Symbolfigur eben…

Aus der religiösen Perspektive ist es eher überraschend. Begründete er nicht schon zu Anfang seines Pontifikats, dass Gott jedem Menschen (s)ein Schicksal zuweist. Das seine sei scheinbar das Pontifikat, was er nur mit den Gedanken an Jesu übernehmen würde, der für den Glauben viel mehr litt, als er, Benedikt, durch sein hohes Alter und seiner Erkrankungen. Von Beginn seines Pontifikats an sah er sich als „Übergangspapst“, der die großen Probleme nicht anfassen konnte und wollte. Er wurde also Papst aus tiefem Glauben, wollte dieses Amt führen, solange Gott ihn auf Erden lassen will. Für mich lag in diesen Gedanken keine Eitelkeit, sondern ehrlicher Glaube. Deshalb überrascht mich der Rücktritt natürlich.

Bewerten möchte ich das ganze Geschehen nur so weit, dass ich sage: Der Mann hat meinen höchsten Respekt, dass er die Kirche nicht in Stagnation versinken lassen möchte, bis er endlich stirbt. Es war gewiss ein unglaublich schwerer Schritt für ihn, der ihn ehrt. Meinen uneingeschränkt Respekt hat er.

All die Häme, die momentan über Facebook und Twitter verbreitet wird, finde ich ekelhaft. Wer von uns hätte die Kraft schuldlos aus einem Amt zu scheiden, an dem das Herz hängt, wenn es nicht mal unbedingt nötig ist oder verlangt wird? Wer von uns würde ehrlich sagen: Ich kann nicht mehr. Wer von uns würde zugeben, dass er durch sein Alter oder seine Gesundheit zu einer Bremse für die Anderen geworden ist? Das er nicht Grund zur Stagnation sein möchte?

Fazit: Die Christenheit, ja vielleicht die Welt, verliert einen großartigen Papst, der jedoch zu spät ins Amt kam, um nachhaltige Akzente zu setzen. Die Erneuerung der Kirche durch die Rückkehr zu den Wurzeln wünschte er sich, wenn ich ihn richtig verstehe. Glauben, statt Politik. Spiritualität, statt Staatsbesuche. Er möchte die Menschen retten, nicht die Welt….

Meinen Respekt hat er und ich hoffe, dass er uns als Denker noch lange erhalten bleibt, auch wenn ich seinen Glauben und seine Meinung nicht immer teile.

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