• Fr. Apr 19th, 2024

Existenzspuren

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Erlebnisse eines behinderten Stiefvaters im Krankenhaus

Es ist immer schlimm, wenn ein Kind krank ist. Besonders, wenn es gerade mal zweiundzwanzig Monate alt ist und noch nicht artikulieren kann, was ihm wo weh tut. Dann beginnt das Rätselraten.

Ebenso war es bei meiner Exfreundin und mir. Ihre Tochter, bei deren Geburt ich sogar dabei sein durfte, weshalb ich mich trotz unserer Trennung auch noch immer als Stiefvater betrachte, aß nicht, trank nicht, konnte nicht urinieren und wurde immer schlapper. Begleitet wurden diese Symptome von Fieber. Also gingen wir Ende Januar direkt ins Krankenhaus, da die Kinderärztin nichts gefunden hatte. Die Kleine wurde auf unserem Wunsch eingewiesen, begleitet von ihrer Mutter. Wer lässt schon seine zweijährige Tochter allein im Krankenhaus?

Wir bereuten die Entscheidung schnell, als wir die Zustände auf der Kinderstation sahen. Medizinisch war der Aufenthalt notwendig, aber moralisch sind die Zustände auf der Station oft nicht nachvollziehbar. So begann es damit, dass unsere Kleine gemeinsam mit ihrer Mutter in ein Zimmer kamen, in denen ein anderes, kleines quengelndes Kind ebenfalls mit seiner Mutter lag. Nichts gegen das Kind: es hing seit 24 Stunden am Tropf und verlangte natürlich nach Bewegung. Doch es ist kaum nachvollziehbar, wie nervlich anstrengend es für unsere Kleine und meine Exfreundin war, dass sie in dem Zimmer weder am Tag, noch in der Nacht Ruhe finden konnten.

Nächster Punkt war, dass die Eltern im Jahre 2013 auf der Kinderstation noch immer auf Feldbetten nächtigen müssen. Billige, niedrige und unbequeme Feldbetten, als ob es eine Gnade des Krankenhauses wäre, dass ein Elternteil sein Kind begleiten dürfe. Und das, obwohl ordentliche Betten unbenutzt im Gang stehen.

Betrachten wir nun das Kinderbett. Ein wenig trauriger und wütender Nostalgie kommt auf, wenn man diese Betten sieht, die nach jeder Entlassung eines Kindes notdürftig desinfiziert werden. Sie ähnlichen Babykäfigen, deren Gitter nach der Entriegelung nach unten gleiten, damit die Eltern an das Kind kommen. Die Liegefläche befindet sich in einer Höhe von ca. 1,20 m, was für ein normal großes Elternteil akzeptabel ist.

Nun komme ich ins Spiel. Als Stiefvater, der seit seiner Geburt Glasknochen hat, ca. 95 cm groß ist und auf einen Elektrorollstuhl angewiesen ist, stellt dieses Kinderbett eine unüberwindbare Hürde dar. Zu entriegeln ist es durch einen Tritt auf Pedale, welche unten an den Rädern des Bettes angebracht sind. Wie soll ich da ran kommen? Die Liegefläche des Kindes ist, trotz meines hohen Rollstuhles, auf Höhe meiner Nasenspitze. Höhenverstellbar ist die Liegefläche natürlich nicht, sonst wäre es ja nicht nostalgisch. Hat doch jemand das Gitter heruntergestellt, so kommt man mit dem Rollstuhl noch immer nicht ans Bett, da das Bett durch das Gitter nicht mehr unterfahrbar ist. Kurz gesagt: ein behinderter Mensch, egal wie groß gewachsen, kommt nicht an sein Kind, sobald es in diesen Betten liegt.

Solange die Mutter da ist, beschwerte ich mich nicht. Man will ja auch nicht mehr Ärger machen, als unbedingt nötig. Natürlich nimmt man auf die Schwestern Rücksicht, die für die Ausstattung der Station nichts können.

Doch nun trat das Unvorhergesehene ein: Meine Exfreundin zog sich am dritten Tag eine Magen-Darm-Grippe zu, die sie sich wahrscheinlich auf Station eingefangen hatte. Nun wollte man sie (man beachte!) am vierten Tag, als es ihr bereits besser ging, aus dem Krankenhaus entfernen. Sie solle ihre Tochter allein dort lassen, dürfe sie aber am Tag drei (!!!) Stunden sehen. Man begründete es mit der Ansteckungsgefahr für ihre Tochter und die anderen Patienten. Ich bin kein Mediziner, aber ist es nicht vollkommen egal, ob man drei oder vierundzwanzig Stunden mit dem Kind zusammen ist, wenn man ansteckt? Die Wahrscheinlichkeit sinkt doch nicht ernsthaft, nur weil es nur drei Stunden sind. Eine Infektion geschieht innerhalb von Sekunden.

Wir akzeptierten dies nicht. So übergaben wir den Ärzten eine Vollmacht, dass ich sie als Begleitperson vertreten dürfe. Die Ärzte waren natürlich nicht begeistert, da das Personal mit einem behinderten Vater mehr Arbeit haben würde, als mit einer nicht-behinderten Mutter. Als ich das kleine Wort „Antidiskriminierungsgesetz“ fallen ließ, fand sich dann schnell eine Lösung, dass meine Exfreundin doch bleiben durfte…

Aber was ich eigentlich berichten wollte: Das Krankenhaus argumentiert inoffiziell (durch die Ärzte, nicht durch die Verwaltung), dass die Begleitperson die Pflege des Kindes übernehmen solle. Könne diese das nicht, wie es in meinem Fall ist, so könne diese Person nicht Begleitperson sein. Wie absurd ist das denn, dass ein behinderter Elternteil, der aufgrund der nicht barrierefreien Bedingungen im Krankenhaus die Pflege des Kindes nicht übernehmen kann, nicht als Begleitperson bei seinem Kind sein darf? Für mich ist eine Begleitperson eine psychische Unterstützung, die dem Kind ein wenig Ruhe und Sicherheit zu vermitteln sucht. Wie oft habe ich es in meiner Kindheit erlebt, dass die Schwestern meiner Mutter sagten, sie solle mich nicht pflegen, dass sei im Krankenhaus Aufgabe der Schwestern. Und hier ist es plötzlich Aufgabe der Begleitperson, die keine medizinische Ausbildung hat? Die meist nicht mal einen Gesundheitspass besitzt?

Okay, ich bin nicht der leibliche Vater. Aber es gab eine Vollmacht, die mir in der Abwesenheit der Mutter das Sorgerecht für die Kleine übertrug. In meinen Augen muss das Krankenhaus mir dann, wie allen anderen Eltern, die Aufgabe der Begleitperson ermöglichen. In meinem Fall heißt das: Die Schwestern machen die Pflege des Kindes und ich bin nur als moralische, psychische Stütze, kurz: Bezugsperson, anwesend. Wo ist das Problem?

Das man meine Pflege nicht garantieren kann, würde ich verstehen. Dann muss man eben meinem Assistenten bzw. Pflegedienst 24 Stunden täglich den Zutritt gewähren.

Noch ein Fakt zur Barrierefreiheit: Die Kinderstation ist eine Mausefalle für jeden Rollstuhlfahrer, da der Knopf, der die Tür von innen nach außen öffnet, auf einer Höhe von ca. 2 m angebracht wurde. Man kommt vom Rollstuhl aus also nicht mehr aus der Station heraus. Natürlich ist das kindersicher, aber in Zeiten von Inklusion sollte man über andere Lösungen, wie ein Chipkarten-Türöffner-System nachdenken. Lösungen gibt es genug.

Für mich sind diese Fakten, zusammen mit der nicht-barrierefreien Einrichtung, ein klarer Fall von Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung ist hier noch nicht angekommen…

Noch ein Wort zum Personal: Von bis zur Unmenschlichkeit abgestumpften Mitarbeitern, die sich genervt geben, weil man eine Frage hat, bis zu sehr netten, freundlichen und fleißigen Mitarbeitern findet man alles. Nur leider hinterlassen Pflegekräfte, die beim betreten eines Zimmers nicht mal Grüßen können, einen tieferen, negativen Eindruck, als die netten. Letzteres setzt man eigentlich auf einer Kinderstation voraus. Der Fairness wegen muss aber gesagt sein, dass alle Pflegekräfte mit unserer Kleinen meist sehr liebevoll umgingen. Die negativen Aspekte bekamen nur die Erwachsenen ab.

 Fazit: Diese Station verweilt immer noch in den überholten Ansichten eines caritativen Pflegesystems, bei dem man sich bedanken darf, dass man medizinische Hilfe bekommt. Flexible Lösungen werden nicht mal in Betracht gezogen, geschweige denn Inklusion überhaupt versucht.

 Und das im Jahre 2013….

2 Gedanken zu „Erlebnisse eines behinderten Stiefvaters im Krankenhaus“

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