• Sa. Apr 20th, 2024

Existenzspuren

Jedes Leben und jeder Gedanke hinterlassen ExistenzSpuren...

Vom traurigen, kleinen Dichter und der Eisfee

(ein Märchen von Chris Wunderlich,
gewidmet V.,

die mein Licht im Dunkel werden könnte.)

Höhnisch schaute das leere, weiße Papier den kleinen, traurigen Dichter an, der hilflos mit der Feder in der Hand davor saß. In diesen kalten Wintertagen kamen ihm keine neuen Ideen, war seine Phantasie wie abgestorben. Dabei befand er sich kurz vorher noch in einem bunten Rausch von Bildern und Worten, die sich innerhalb weniger Tage zu wunderschönen Märchen und Geschichten verwandelt hatten. Doch nun verwandelte sich nichts mehr. Das Blatt blieb leer, wie seine Phantasie. Dabei waren dies immer das Einzige, was er besessen hatte. Nur seine Worte konnten die Menschen, die er liebte, in seiner Nähe halten. Ach, könnte er doch Klavier spielen, so würde er einfach fremde Noten vortragen und alle würden ihn lieben. Aber ihm blieb nur das nun verstummte Wort…

 „Ich habe Sehnsucht nach meiner Muse. Mit ihr verließ mich die Kunst, die Hoffnung, das Glück. Die Flamme in meinem Herzen ist nur noch Glut. Selbst der vor dem Fenster fallende Schnee verweigert sich meiner Feder.“, seufzte der traurige, kleine Dichter in den einsamen Raum hinein. Sein Blick ging ruhelos immer wieder zum Fenster, obwohl er die Sinnlosigkeit spürte. Sie würde nicht wieder kommen. Jedenfalls nicht heute oder morgen…

Wieder und wieder schaute er zum Fenster, dass bereits von einer dünnen Eisschicht überzogen war. Nur eine einzige Ecke war noch frei. Dort konnte man noch die Schneeflocken vom Himmel fallen sehen.

Doch was war das? Da saß etwas in genau dieser Ecke… Ein winziges Wesen, durchsichtig wie ein Eiskristall. Kaum sichtbar in diesem Schneegestöber, wie es da an der Scheibe saß und eine traumartige Eisschicht über das Glas zog. Wohl würde sich das Licht der Sonne im Kristallkörper der Eisfee verfangen und brechen, sie zum glitzern und schillern bringen, doch diese Schneewolken ließen keinen Sonnenstrahl zur Erde.

Der kleine, traurige Dichter staunte nicht, denn er hatte schon von Eisfeen gehört. „Dies muss wohl eine sein“, dachte er sich. Sie kommen immer dahin, wo die Sehnsucht am größten ist, wo jemand nicht mehr ein, noch aus weiß.

Vorsichtig öffnete er das Fenster einen Spalt weit und fragte die Eisfee, ob sie nicht hinein kommen wolle. Sie lächelte den kleinen, traurigen Dichter an und flog lautlos in das einsame Zimmer. „Bei Dichtern war ich oft schon zu Gast, denn ihnen ist die Sehnsucht ein Teil ihres Schreibens geworden.“, sagte sie leise, blickte tief in seine traurigen Augen und fügte hinzu: „Viele wollen uns begleiten in den Hafen der Sehnsucht, wo sie Ruhe zu finden glauben. Du wünscht dir das auch, doch ich darf nicht… Dichter haben ihre Aufgabe, ihr Schmerz hat einen Sinn. Denn wer sollte sonst die Liebe und den Liebesschmerz beschreiben?“

Da wurde das Herz des traurigen, kleinen Dichters noch schwerer, fühlte sich schwärzer an, als die tiefste Nacht. Wünschte er sich doch wirklich zu entschwinden, seiner Muse zu folgen oder wenigstens im Hafen der Sehnsucht alles vergessen zu können. Doch die Eisfee lächelte ihn weiter an, flog an sein Gesicht, gab ihm einen Kuss.

„Ich habe ein Geschenk für dich, wenn du mir eine Träne von dir geben kannst…“, flüsterte sie in sein Ohr. In diesem Augenblick rann auch schon die erste Träne aus seinen Augen. Die Eisfee fing sie geschickt auf, berührte sie mit der Fingerspitze und reichte sie dem traurigen kleinen Dichter.

„Befestige sie an deiner Schreibfeder, und mit ihr wirst du immer deiner Traurigkeit Worte geben können, wirst den Schmerz für deinen Leser fühlbar werden lassen, aber auch ihre Phantasie beflügeln und für den Moment Glück schenken.“

Die Eisfee verschwand, als der letzte Ton ihrer Worte verklungen war und der traurige, kleine Dichter saß für einen Augenblick glücklich da.

Seit diesem Tag schrieb der kleine, traurige Dichter Werke voller Herzblut. Seine Gefühle ließen sich in Worte bannen, Phantasien wurden auf dem weißen Papier lebendig und seine Leser liebten ihn dafür.

Und eines Tages, als er fast aufgehört hatte zu hoffen, nahm ihn seine Muse wieder den Arm und sie blieben zusammen, bis er sein letztes Werk geschrieben hatte…

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